August 2000. This report (in German) documents the situation of Rroma in Serbia and the current tensions, threats and aggressions. Rroma are increasingly sidelined, evicted, and even ethnically cleansed.
RROMA IN SERBIEN - ZUNEHMENDE SCHWIERIGKEITEN[1]
1. Allgemeine Lage
Nicht nur im Kosovo werden die Rroma durch die albanische Bevölkerung bedroht. Auch in Serbien ist die Volksgruppe zusehends durch Gewaltakte seitens der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt: Die hier seit Jahrhunderten zur Bevölkerung gehšrenden Rroma bilden in der vorherrschenden Ideologie eines ethnisch definierten Gross-Serbien schon lange einen Störfaktor. Zwar gab es während den Kriegen einige offizielle rromafreundliche Verlautbarungen und Versprechungen. Sie zielten auf die Instrumentalisierung der Rroma, um sie der grossserbischen Aggressionspolitik dienstbar zu machen. Offizielle Rroma-Organisationen waren immer von der chauvinistischen Regierung in Belgrad unterwandert. Im Alltag blieben die Rroma aber immer diskriminiert. Um nicht gegen die eigenen Brüder zu kämpfen und den Zwangsrekturtierungen zu entgehen, flohen viele Rroma schon vor gut 10 Jahren in den Westen.
2. Jagd auf Deserteure
Zur Zeit soll in Serbien eine grosse Hetzkampagne gegen Deserteure stattfinden. Junge Rroma-Männer gelten grundsätzlich als Dienstverweigerer und werden regelrecht durch militärische und paramilitärische Gruppen gejagt. Im Schnellverfahren werden die jungen Leute zu 10 bis 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Da Serbien de facto immer noch unter Kriegsrecht steht, ist sogar die Verhängung der Todesstrafe möglich.
3. Situation der Rroma-Flüchtlinge in Serbien
Heute nimmt in Serbien angesichts der politischen Unruhen der Druck auf die Rroma zu. Vor allem die Rroma-Flüchtlinge aus dem Kosovo sind dem Regime als Beweis der Niederlage im Kosovo unerträglich. Wo es gerade Platz hat, fristen die Flüchtlinge in zerrissenen Zelten ein unerträgliches Dasein. Humanitäre Hilfe haben sie keine. Hunger und Krankheiten prägen die Flüchtlingslager. Die Rroma sind unerwünscht. Belästigungen insbesondere von Rroma-Frauen durch die Polizei gehören zum Alltag. Immer wieder kriegen die Flüchtlinge den Vorwurf zu spüren, dass sie den Kosovo im Stich gelassen haben und zurückkehren sollten zu ihren Albaner.[2]Die allgemeine wirtschaftliche Not tut das Ihre dazu.
4. Lage der Rroma in Nis
Trotz Protesten der Opposition und dem Embargo des Westens ist Milosevic und sein Apparat durch die wirtschaftliche Misere gestärkt worden, gemäss Schweizer Fernsehen DFS 1. Der erste Oel-Transport von der EU in die Oppositionsstadt Nis reicht gerade für zwei Tage. Rund 20'000 Tonnen Oel wären für den ganzen Winter nötig. Ganze Quartiere können nicht aufgebaut werden.[3]Durch geschickte Manipulation seitens des Regimes wird der Bevölkerung weisgemacht, sie würde vom Westen im Stich gelassen. Nationalistische Kräfte gewinnen so wieder die Oberhand. Die Wut richtet sich nun gegen die nichtserbische Bevölkerung, die Rroma, aber auch Albaner und slawischen Muslime. Neben Skopje lebt in Nis anteilmässig am meisten Rroma auf dem Balkan. Trotz stundenlangem Anstehen für Oel soll den wartenden Rroma das wertvolle Heizmaterial verweigert worden sein. Nachts sollen die Rroma Quartiere von schwarz gekleideten, bärtigen Männern bedroht worden sein. Frauen, Männer und Kinder seien ohne Grund zusammengeschlagen worden. Wohlhabenden Rroma soll unter Todesdrohungen ihr Besitz gestohlen worden sein. Es sei wie in Texas, meinen viele Rroma und vermuten dahinter die paramilitärischen Gruppen von Arkan. Die Angst ist riesengross. In den Rroma-Vierteln von Nis, (Beograd Mahala, Cerge, Romska Mahala und Cair Mahala) soll eine Ausgangssperre von 17 Uhr abends bis 06 Uhr morgens verhängt worden sein. Die Rroma sollen angehalten werden, falls sie in Serbien bleiben wollten, ihre muslimischen Namen zu ändern. Eine schwangere Rroma-Frau sei letzte Woche beim Einkaufen von der Polizei massiv in den Bauch getreten und verjagt worden.[4]Ähnliches wird auch aus Belgrad berichtet.
5. Gefechte in Südserbien
Besonders in Südserbien nahe der Grenze zum Kosovo geraten die Rroma immer mehr zwischen die Fronten. Vielfach wird vom Westen vergessen, dass in dieser Region neben der serbischen Bevölkerung auch eine grosse Zahl Albaner und Rroma lebt. Da die Grenzen fliessend sind, kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen Serben und Albanern. Dieunabhängige Belgrader Tageszeitung „Glas“ berichtete über mehrere Angriffe bewaffneter Kosovo-Albaner auf südserbische Dörfer, dies trotz patrouillierender KFOR-Truppen im Grenzgebiet.[5]Besonders die Grenzstadt Bujanovac scheint Schauplatz dieser neuen Unruhen zu sein. Anfangs Dezember sollen dort fünf serbische Polizisten durch albanische Gruppen getötet worden sein. Die Polizei vermutete jedoch, dass die Täter Rroma waren. Aus diesem Grund folgten kurz darauf mehre Grossrazzien in den Rroma-Quartieren von Bujanovac. Fünf Männer sollen verhaftet und eine Woche im Gefängnis festgehalten worden sein, wo sie immer wieder geschlagen wurden. Über die Stadtviertel Morava, Moravska, Gilanskla Ulica, Novo Nasele, Marsal Tito, Rakovac Ulica, Jacima, Dosica, wo ungefähr 30'000 Rroma leben, soll eine Ausgangssperre verhängt worden sein. Panzerrohre der serbischen Armee sind gegen das grösste Rroma-Quartier Moravska gerichtet.[6]Obwohl sich die Rroma nicht mehr aus ihren Häusern trauen, sollen viele versuchen aus Bujanovac zu fliehen. In der Zwischenzeit seien die eigentlichen Täter im nahen Trnovac gestellt. Sechs Albaner sollen dabei erschossen und vier festgenommen worden sein.
Am Freitag, den 10.12.99 explodierte in der Branko Radicevic Schule in Bujanovac eine Bombe. 40 Schüler seien dabei schwer verletzt worden, unter ihnen 16 Rroma-Kinder. Das Fernsehen Prishtina berichtet am 12.12.99, dass die Stadt Bujanovac gegenwärtig ethnisch von Rroma und Albanern „gesäubert“ werde.
6. Aussichten
Entgegen dem Wunsch westlicher Staaten konnte Milosevic bisher nicht gestürzt werden. Demgegenüber ist die Opposition zerstritten und ebenfalls mehrheitlich vom nationalistischen Gedankengut geprägt. Es herrscht Willkür und Rechtlosigkeit. Die Gefahr der Konflikteskalation in Serbien und Monte Negro ist sehr gross. Zur Zeit ist das UNHCR daran zur Lage in Serbien und Monte Negro eine neue Beurteilung zu erstellen.
[1] This report was prepared by Stefan Heinichen, Rroma Foundation.
[2] Interview mit S. D., Flüchtling aus Prishtina 12.12.99
[3] Schweizer Fernsehen, Tagesschau 8.12.99 ZDF, Heute Journal 8.12.99.
[4] Interview mit R. D., Flüchtling aus Nis 12.12.99
[5] NZZ 22.11.99.
[6] Interview mit D. B., Flüchtling aus Bujanovac 12.12.99